Ist leid, Leiden?

“Der Freitod ist die primäre Lösung eines sekundären Problems.”

Hin und wieder gibt es mal ein Thema, bei dem ich nicht so recht weiß, wie ich anfangen soll. Dies hier ist genau so ein Thema. Es ist jetzt genau ein Jahr her. Wir hatten vor einem Jahr auch den 5.8., als ich mir versucht habe, das Leben zu nehmen.


Dies war nicht der erste Versuch. Davor gab es eine Reihe an Versuchen und ich nehme an, dass das auch nicht der letzte Versuch gewesen sein wird, denn den Freitod als Option für die Lösung aller Probleme zu wählen, ist sehr verlockend.

Es denken sich sicher gerade einige so: “Oh Gott, was ist das für ein Thema? Oh Gott, was hat denn für eine Einstellung?” Sehen wir das ganze Mal nüchtern, ist es als depressive Person die Lösung wirklich aller Probleme. Das Ende des Leidens. Das Ende aller Probleme. Das Ende von allem. Ganz einfach.

Ich will jetzt auch gar nicht so weit ins Detail gehen, denn ich denke, dass das falsch an dieser Stelle wäre. Es wäre nicht richtig, darüber zu berichten, warum und weshalb ich das getan habe. Ich dachte mir nur, dass alles, was mir wichtig war und ich liebe, sich irgendwann verändern wird und dieser Gedanke war so unerträglich, dass der Suizid die beste und einfachste Lösung für all die Probleme gewesen wäre.

Man könnte nun sagen, dass das die falsche Einstellung sei oder dass es feige sei, doch sind wir mal ehrlich: Probleme sind da, damit sie gelöst werden. Ja, das stimmt. Aber wenn man sowieso schon niedergeschlagen ist und kaum noch Kraft hat, um den Tagesrhythmus im Alltag zu meistern und zu gestalten, indem man irgendwas Sinnvolles auf die Beine stellt, dann ist das ein ungelöstes Problem. Genau dann förmlich aufgelöst, wenn alles, was einem irgendwo wichtig war, weg ist.

Ich weiß, dass man mit diesem Schritt unglaublich viel Leid und viele Fragen offenlässt bzw. hinterlässt, aber aus der Sicht des Täters ist es total einfach. Ich hatte mal ein Zitat gelesen und dieses fand ich sehr gut.

“In jedem Suizid steckt die Willenskraft, die eigentlich duzende Leben zum Guten wenden könnte.”

Andreas Staeck

Da steckt viel Wahrheit drin. Man braucht sehr viel Mut und Entschlossenheit, um dies zu tun, obwohl man zu dem Zeitpunkt eh zu nichts sonst in der Lage ist. Man kann das machen, ohne ein Problem damit zu haben und das ist erstaunlich. Ich muss echt sagen, dass ich bei jedem Versuch einen unglaublichen Frieden verspürt habe.

Dennoch ist es eine unglaublich egoistische Tat, denn derjenige tut etwas, was anderen wehtut, nur um sein eigenes Leben zu verbessern und zu lindern. Es löst aber ein großes Leid bei anderen aus, bei denen die einen lieben und das kann nicht gerecht sein.

Wenn ich so darüber nachdenke, bin ich, was das angeht, ein sehr egoistischer Mensch, auch wenn ich es so im Leben bis auf wenige Ausnahmen nicht bin. Das ist etwas, woran ich unbedingt arbeiten muss.

Was habe ich aus den misslungenen Versuchen gelernt? Nicht weil die Technik oder Werkzeuge ungeeignet waren, nein. Eher, weil ich es überlebt habe, auch wenn ich mich tagelang danach schlecht gefühlt habe – körperlich gesehen. Ich hatte Schmerzen und dennoch habe ich etwas für mich gelernt.

Entweder hat irgendetwas noch etwas mit mir vor, oder ich habe das erstaunliche Talent bzw. die Fähigkeit, unkaputtbar zu sein, wobei ich davon weniger ausgehe, wenn ich mir meinen derzeitigen Gesundheitszustand anschaue.

Ich kann nicht garantieren, dass es in Zukunft nicht zu weiteren Versuchen kommen wird. Ich weiß, dass es unwahrscheinlich egoistisch und grausam denen gegenüber ist, die mich lieb haben, aber es ist nun mal so.

Jedes Tier, welches leidet, wird die erlösende Spritze gegeben. Es nennt sich dann einschläfern, und nur weil Menschen meinen, dass ein Menschenleben wichtiger ist als ein Tierleben, werden Menschen krampfhaft am Leben erhalten. Nun kann man psychische Erkrankungen nicht mit einer schwer oder gar tödlichen körperlichen Erkrankung vergleichen – oder etwa doch?

Wenn man jetzt von dem Standpunkt des Leidens ausgeht, ist das Leiden, weil man Schmerzen hat von einer Krebserkrankung oder das Leiden, weil man des Lebens überflüssig ist und nichts Positives mehr für sich selber sieht, nicht das gleiche Leiden.

Klar, das eine ist tödlich – jedenfalls früher oder später. Das andere ist doch auch tödlich – früher oder später (und das nicht nur auf eine Art und Weise, sondern durch eine Selbsttötung. Nur wird die Selbsttötung in unserer Gesellschaft nicht toleriert oder akzeptiert).

Aber nehmen wir mal an, ein Mensch litt mindestens die Hälfte seines Lebens an schweren Depressionen und eigentlich quält er sich nur damit, weil er Leid dabei hat. Hat er dann ein lebenswertes Leben?

Ich weiß, das sind sehr philosophische und ethische Fragen aber es ist doch erlaubt, diese zu stellen.

Ich für meinen Teil und aus meiner Erfahrung kann nur sagen, dass diese Art von Leid auch leiden ist und es ist egal, ob es jetzt das Leid ist, weil ich starke Schmerzen habe oder weil ich des Lebens überdrüssig bin. Leid ist leid, da gibt es keinen Unterschied.

Wie denkt ihr darüber und wie sind eure Erfahrungen damit? Das würde mich mal interessieren.

Euer Sascha

Autor: Sascha Markmann

Legastheniker am Werk (Mehrfaches lesen meiner Postings kann zu irreparable Schäden an den Augen führen z. B.. Pseudotumor-zerebral-Syndrom) Leicht gestörter bis Mittel schwerer Fall von Überlebens Künstler, Maler, Blogger, Musiker, Podcaster und Video Produzenten "Audiovisueller STUMPFSINN mit keinem Nutzwert"

Ein Gedanke zu „Ist leid, Leiden?“


  1. Um es kurz zu fassen:
    Ich denke, das ein Mensch nur eine begrenzte Anzahl an Leid ertragen kann, bis er auf die Straße geht und schreit, bzw. sich diesen einen, letzten Ausweg suchen will.

    Das ist sicher nicht bei jedem Menschen die selbe Anzahl und demnach einfach sehr individuell. Wo der eine “noch kann”, gibt der Andere auf.

    Das man als Mensch nicht selber entschieden darf, wann man stirbt ist schlimm. Trotzdem ist es ein schwieriges Thema, es stellt sich immer die Frage der Zurechnungsfähigkeit. Vielleicht sieht das eigene Empfinden in ein paar Monaten/ Jahren ja anders aus, vielleicht könnte eine Therapie helfen , aber dann ist es zu spät.
    Andererseits sollte man das Recht haben zu sagen “ich hab genug und will JETZT gehen”.

    Selbstmord mag egoistisch sein. Aber ebenso egoistisch ist es jemanden “hier zu behalten” nur damit man selber nicht traurig ist.

    Es ist wie wenn man weg zieht. Bleibt man lieber da (in der Stadt) wo die Leute sind die einem etwas bedeuten und denen man selber etwas bedeutet ODER geht man weg in eine andere Stadt und fängt neu an, fern von allem was mal war.

    Das soll allerdings kein “pro Selbstmord Argument” sein, ließ es eher losgelöst von Ethik

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