Dissoziation verstehen: Symptome, Auslöser und Wege zur Bewältigung

„Dissoziation: Wenn sich das Erleben unwirklich anfühlt. Erhalte Einblicke in Ursachen, Symptome und Wege zurück ins Hier und Jetzt.“

Einleitung

Was ist Dissoziation?
Dissoziation ist ein Zustand, in dem sich Menschen von ihrer Umgebung oder ihren Gefühlen abgekoppelt fühlen. Dieses Phänomen kann ganz plötzlich auftreten und löst oft großes Unbehagen aus. Manchmal fühlt es sich an, als ob man in einem Traum lebt oder als ob die Welt „unecht“ wird – das eigene Selbst kann in den Hintergrund treten oder man fühlt sich wie ein Beobachter des eigenen Lebens, anstatt selbst aktiv teilzunehmen.

Ein Beispiel aus dem Alltag
Stelle dir vor, du sitzt in einem Raum voller Menschen. Ihr unterhaltet euch, lacht und fühlt euch eigentlich ganz wohl. Plötzlich bemerkst du, dass du dich wie in einer anderen Welt fühlst. Du siehst die anderen, hörst sie reden – doch irgendwie wirkt alles weit weg und seltsam unwirklich. Du hast das Gefühl, nicht richtig da zu sein, obwohl dein Körper nach wie vor anwesend ist. Dieses Gefühl kann für Betroffene sehr erschreckend sein und sie fragen sich oft, ob mit ihnen „etwas nicht stimmt“.

Dissoziative Zustände können kurz andauern oder auch über längere Zeiträume bestehen bleiben. Sie sind oft eine Folge von Stress, Trauma oder inneren Konflikten. Doch was genau steckt dahinter? Wie äußert sich Dissoziation noch, welche Auslöser gibt es und wie kann man lernen, damit umzugehen? Diese und weitere Fragen möchte ich in diesem Blogtext beantworten.


Was bedeutet Dissoziation genau?

Um Dissoziation gut zu verstehen, hilft es, sich den Begriff genauer anzuschauen. „Dissoziation“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „Trennung“ oder „Auseinanderfallen“. Im psychologischen Kontext spricht man davon, dass bestimmte psychische Prozesse, die normalerweise integriert zusammenarbeiten (wie Wahrnehmung, Gedächtnis und Emotion), plötzlich getrennt voneinander auftreten.

Während wir im Alltag normalerweise ein relativ einheitliches Erleben unserer selbst und der Welt haben, kann es in einem dissoziativen Zustand vorkommen, dass wir Gefühle, Sinneseindrücke oder Erinnerungen nicht mehr als zusammengehörig empfinden. Häufig fühlt sich das an, als würden wir aus uns heraustreten und den Moment nur passiv beobachten. Andere Betroffene beschreiben, dass sie sich selbst kaum spüren oder eine große emotionale Taubheit empfinden.


Formen und Spektrum dissoziativer Erfahrungen

Dissoziation ist kein klar abgegrenztes Phänomen, das jeder Mensch identisch erlebt. Vielmehr existiert ein Spektrum unterschiedlicher Formen und Schweregrade:

  1. Depersonalisation: Betroffene fühlen sich von ihrem eigenen Körper oder ihrer Identität entfremdet. Es kann vorkommen, dass man in den Spiegel schaut und sich selbst nicht wiedererkennt oder dass man die eigenen Gedanken und Gefühle als fremd wahrnimmt.
  2. Derealisation: Hierbei wirkt die Außenwelt seltsam unwirklich oder fremd, als wäre man in einem Traum. Man sieht alles vielleicht wie durch einen Schleier oder empfindet die Umgebung als verzerrt und leblos.
  3. Dissoziative Amnesie: Gedächtnislücken sind ein häufiges Anzeichen dissoziativer Prozesse. Stress oder traumatische Erlebnisse können dazu führen, dass Erinnerungen „abgespalten“ werden und nicht mehr abrufbar sind.
  4. Identitätsveränderungen: In besonders ausgeprägten Fällen kann Dissoziation sogar zu unterschiedlichen Identitätszuständen führen, bei denen sich Betroffene in völlig andere Personen „verwandeln“ und sich anschließend nicht daran erinnern.

Diese verschiedenen Erscheinungsformen können einzeln oder auch kombiniert auftreten. Auch die Intensität variiert: Bei manchen Menschen sind dies nur kurze, flüchtige Momente, die rasch wieder vergehen, während andere in längeren Episoden feststecken und massiv in ihrem Alltag eingeschränkt sind.


Symptome: Woran erkenne ich eine Dissoziation?

1. Gedächtnislücken und Erinnerungsprobleme

Ein sehr typisches Anzeichen dafür, dass Dissoziation im Spiel sein könnte, ist das Auftreten von Gedächtnislücken. Hierbei handelt es sich nicht um alltägliche Vergesslichkeit, wie zum Beispiel das Verlegen des Schlüssels, sondern um größere Zeitabschnitte, in denen das Bewusstsein scheinbar ausgeschaltet war. Die betroffene Person kann sich an bestimmte Situationen oder Gespräche gar nicht oder nur bruchstückhaft erinnern.

Manche beschreiben es so, als würden im Lebenslauf plötzlich ganze Kapitel fehlen. Oft tritt dieses Phänomen in Verbindung mit traumatischen Erlebnissen auf, denn der psychische Mechanismus versucht, das Bewusstsein vor schmerzhaften Erinnerungen zu schützen.

2. Gefühl von Unwirklichkeit und Entfremdung

Viele Betroffene berichten von einem starken Gefühl der Unwirklichkeit (Derealisation). Dabei wirken Menschen, Gegenstände oder die Umgebung seltsam unecht. Die Wahrnehmung kann verzerrt erscheinen, Farben sind blasser oder Töne kommen wie durch Watte gefiltert an. Diese Erfahrungen können auch das Erleben der eigenen Person betreffen, was man als Depersonalisation bezeichnet.

Hier kann man sich als „körperlos“ empfinden, so als würde man neben sich stehen oder als würde jemand anderes den Körper steuern. Diese Erlebnisse sind äußerst verstörend, weil sie das grundlegende Gefühl der Sicherheit und Identität infrage stellen.

3. Emotionale Taubheit

Ein weiteres Symptom dissoziativer Zustände ist das Gefühl, keine oder nur noch sehr abgeschwächte Emotionen wahrnehmen zu können. Während andere lachen, weinen oder wütend werden, fühlen sich Betroffene oft innerlich leer. Diese emotionale Taubheit kann ein schützender Mechanismus sein, den die Psyche in Stress- oder Gefahrensituationen aktiviert.

Gleichzeitig führt diese Taubheit jedoch zu einer inneren Distanz, die auch den Kontakt zu nahestehenden Personen erschweren kann. Außenstehende empfinden Menschen in dissoziativen Zuständen manchmal als „kalt“ oder „abwesend“, was wiederum die soziale Isolation verstärken kann.

4. Körperliche Symptome

Dissoziation kann sich auch körperlich bemerkbar machen. Einige Personen berichten von Schwindel, Benommenheit oder dem Gefühl, jederzeit ohnmächtig werden zu können. Andere fühlen ein Kribbeln in den Gliedmaßen oder können den Körper gar nicht mehr richtig spüren.

Hinzu kommen manchmal Kopfschmerzen, Übelkeit oder ein allgemeines Gefühl der Erschöpfung. Da die Psyche und der Körper eng miteinander verbunden sind, können starke emotionale Belastungen in vielfältigen körperlichen Symptomen zum Ausdruck kommen.


Typische Auslöser für Dissoziation

1. Stress und Überforderung

Die wohl häufigsten Ursachen für dissoziative Zustände liegen in Situationen übermäßigen Stresses. Wenn das Gehirn sich einem Problem gegenübersieht, das es nicht mehr angemessen bewältigen kann, kann es zu einer Art „Notabschaltung“ kommen. Diese äußert sich dann in Form von Dissoziation.

Das kann zum Beispiel bei extremen Leistungsdruck in der Schule, im Studium oder am Arbeitsplatz geschehen. Auch Mobbing oder soziale Isolation können derartige Stressquellen sein. Bei einigen Menschen tritt Dissoziation auf, wenn sie sich stark konzentrieren müssen und gleichzeitig emotionale Belastungen bestehen, beispielsweise bei Prüfungen oder wichtigen Präsentationen.

2. Trauma und Missbrauch

Besonders häufig wird Dissoziation mit traumatischen Erlebnissen in Verbindung gebracht. Dazu zählen körperliche, seelische oder sexuelle Gewalt, schwere Unfälle, Naturkatastrophen oder andere gravierende Ereignisse, die das Sicherheitsempfinden nachhaltig erschüttern. In solchen Fällen dient die Dissoziation als Überlebensmechanismus: Die Betroffenen „spalten“ das Erlebte ab, um die starken Schmerzen und Ängste nicht in voller Wucht spüren zu müssen.

Dieser Schutzmechanismus kann kurzfristig sehr hilfreich sein, da er es ermöglicht, eine bedrohliche Situation zu überstehen, ohne innerlich zu zerbrechen. Langfristig kann er jedoch zu Problemen führen, wenn die dissoziativen Zustände unkontrolliert wieder auftauchen und die Lebensqualität stark beeinträchtigen.

3. Innere Konflikte

Auch innere Konflikte, zum Beispiel das Gefühl, gegen die eigenen Werte zu handeln oder auf andere Weise in eine unerträgliche Situation geraten zu sein, können Dissoziationen auslösen. Wer sich permanent zwischen widersprüchlichen Anforderungen aufreibt, kann das Gefühl entwickeln, dem Druck nicht länger standzuhalten.

In solchen Momenten reagiert die Psyche mit Rückzug: Dissoziation tritt auf und schafft eine innere Distanz, die es ermöglicht, scheinbar unvereinbare Anforderungen vorübergehend auszublenden. Dies kann zwar kurzfristig entlasten, führt aber selten zu einer wirklichen Lösung.

4. Bestimmte Persönlichkeitsstrukturen

Auch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und Vorerfahrungen können die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dissoziative Zustände zu erleben. Menschen, die eine ausgeprägte Fähigkeit zur Fantasie haben oder sehr empfänglich für äußere Reize sind, haben unter Umständen ein höheres Risiko, sich in „Tagträumen“ oder unwirklichen Zuständen zu verlieren.

Zudem weisen einige Studien darauf hin, dass genetische und neurobiologische Faktoren eine Rolle spielen können. Insgesamt gilt jedoch, dass jede*r prinzipiell dissoziieren kann, wenn die Stress- oder Traumabelastung stark genug ist.


Wege zur Bewältigung: Therapieansätze und praktische Übungen

1. Psychotherapeutische Behandlung

EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)
EMDR ist eine Therapieform, die vor allem in der Traumabehandlung zum Einsatz kommt. Bei dieser Methode wird der oder die Betroffene angeleitet, sich an das belastende Ereignis oder den belastenden Zustand zu erinnern, während gleichzeitig bestimmte Augenbewegungen ausgeführt werden (zum Beispiel dem Finger der Therapeutin oder des Therapeuten von links nach rechts folgen).

Durch diese Form der Stimulation sollen traumatische Erinnerungen verarbeitet und entlastet werden. EMDR hat sich bei vielen Menschen als äußerst hilfreich erwiesen, um die Verknüpfung zwischen belastenden Erinnerungen und dissoziativen Zuständen zu lösen oder abzumildern.

DBT (Dialektisch-Behaviorale Therapie)
Ursprünglich wurde die DBT speziell für Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung entwickelt, findet mittlerweile jedoch auch Anwendung bei anderen psychischen Störungen, die von dysfunktionalen Verhaltensmustern geprägt sind – unter anderem auch bei ausgeprägter Dissoziation.

In der DBT lernen Betroffene, ihre Emotionen besser zu regulieren und einen achtsamen Umgang mit sich selbst und ihrer Umwelt zu entwickeln. Verschiedene Module wie Achtsamkeit, Stresstoleranz, Emotionsregulation und zwischenmenschliche Fertigkeiten sollen dazu beitragen, einen gesünderen Umgang mit schwierigen Situationen zu finden und somit Dissoziationen vorzubeugen.

Weitere Therapieformen
Neben EMDR und DBT können auch andere Verfahren wie die kognitive Verhaltenstherapie (KVT), tiefenpsychologische Ansätze oder Schema-Therapie hilfreich sein. Wichtig ist, dass die Therapeutin oder der Therapeut Erfahrung im Umgang mit dissoziativen Symptomen hat und eine vertrauensvolle Atmosphäre geschaffen wird.

Da Dissoziation oft mit Trauma und hochsensiblen Themen verknüpft ist, braucht es Fachleute, die behutsam vorgehen, um die zugrunde liegenden Ursachen gemeinsam mit den Betroffenen aufzuarbeiten. Eine gute Therapeut-Patient-Beziehung ist daher entscheidend.

2. Praktische Übungen und Tipps zur Erdung

Neben professioneller Hilfe gibt es auch einige alltagstaugliche Strategien, um das Gefühl von Dissoziation zu mildern oder vorzubeugen. Diese Methoden sind vor allem dann sinnvoll, wenn man anfängt, sich „abzukoppeln“ oder erste Anzeichen wie Benommenheit und Entfremdung spürt.

Erdungsübungen

  • Den Körper spüren: Lege eine Hand auf deinen Unterarm oder greife leicht in deinen Oberarm. Spüre die Berührung, die Temperatur deiner Hand, und fokussiere dich darauf, dass dies dein Körper ist.
  • Fünf Sinne aktivieren: Blicke dich aktiv um und nenne in Gedanken fünf Dinge, die du siehst, vier Dinge, die du hörst, drei Dinge, die du riechen oder schmecken kannst und zwei Dinge, die du fühlen kannst (z. B. den Druck deiner Füße auf dem Boden).
  • Kühle Gegenstände benutzen: Halte einen kalten Gegenstand, z. B. einen Kühlakku, ein kaltes Glas Wasser oder einen Eiswürfel. Konzentriere dich voll und ganz auf das Kälteempfinden. Diese starke sensorische Reizung kann helfen, dich wieder ins Hier und Jetzt zurückzuholen.

Atemtechniken

Achtsamkeitsübungen

3. Soziales Umfeld und Selbstfürsorge

Austausch suchen
Dissoziation kann sehr verunsichernd sein, vor allem wenn man nicht weiß, was gerade passiert. Ein verständnisvolles soziales Umfeld kann hier Gold wert sein. Sprich mit vertrauten Personen oder tausche dich in Selbsthilfegruppen aus. Zu wissen, dass man nicht allein ist und verstanden wird, trägt oft zur Beruhigung bei und kann das Gefühl der Isolation lindern.

Selbstfürsorge etablieren
Um dissoziativen Zuständen vorzubeugen oder sie besser abzufangen, ist es wichtig, regelmäßig Ressourcen aufzubauen und sich aktiv um das eigene Wohlergehen zu kümmern. Dazu gehören:

  • Regelmäßige Pausen im Alltag und ein ausgewogenes Arbeit-Ruhe-Verhältnis.
  • Ausreichend Schlaf, um Körper und Geist zu regenerieren.
  • Ausgewogene Ernährung, die den Körper mit wichtigen Nährstoffen versorgt.
  • Bewegung und Sport, denn körperliche Aktivität setzt Endorphine frei und verbessert das Körpergefühl.
  • Kreative Auszeiten (Malen, Musizieren, Schreiben), um Gefühle auszudrücken, die sich vielleicht nicht in Worte fassen lassen.

Wer gelernt hat, gut für sich zu sorgen, entwickelt auch mehr Resilienz gegenüber stressigen oder potenziell traumatisierenden Situationen.


  • Body-Scan: Lege dich bequem hin oder setze dich aufrecht auf einen Stuhl. Schließe die Augen und gehe gedanklich von Kopf bis Fuß durch deinen Körper. Nimm jede Stelle wahr, ohne zu bewerten, und versuche, Verspannungen bewusst zu lösen.
  • Fokus auf Alltagsaktivitäten: Ob du nun abwäschst, spazieren gehst oder Zähne putzt – richte deine volle Aufmerksamkeit auf die Aktivität. Nimm Farben, Gerüche, Geschmäcker und Berührungen wahr. Dieses „im Moment sein“ stärkt das Bewusstsein für die Realität.
  • 4-7-8-Methode: Atme tief durch die Nase ein und zähle dabei bis vier. Halte den Atem an, während du bis sieben zählst. Atme dann langsam durch den Mund aus, während du bis acht zählst. Diese Übung wiederholst du einige Male, bis du merkst, dass du etwas ruhiger wirst.
  • Bauchatmung: Lege die Hand auf deinen Bauch, atme langsam und tief ein und spüre, wie sich dein Bauch hebt. Atme langsam aus, während du fühlst, wie dein Bauch sich wieder senkt. Konzentriere dich ganz auf diesen Rhythmus.

Grenzen der Selbsthilfe und der Gang zu professioneller Unterstützung

Dissoziation ist oft ein Symptom einer tieferliegenden Verletzung, sei es durch einmalige traumatische Ereignisse oder durch chronische Belastungen. Eine vollständige Aufarbeitung dieser Ursachen erfordert in vielen Fällen therapeutische Begleitung. Psychotherapeutinnen oder Psychiaterinnen können eine fundierte Diagnose stellen, den Schweregrad einschätzen und gemeinsam mit den Betroffenen einen passenden Behandlungsplan entwickeln.

Wenn du feststellst, dass du dich immer häufiger „abkoppelst“, keine Kontrolle mehr über deine Reaktionen hast oder dein Alltag stark leidet, solltest du nicht zögern, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Gerade bei komplexen Traumatisierungen, schwerer Depression oder Ängsten kann es überlebenswichtig sein, Unterstützung zu holen.


Was passiert in der Therapie?

Bei der Arbeit mit dissoziativen Zuständen wird meist ein mehrstufiger Ansatz verfolgt:

  1. Stabilisierungsphase
    Zunächst geht es darum, Sicherheit und Stabilität im Hier und Jetzt aufzubauen. Die Therapeutin oder der Therapeut wird mit dir daran arbeiten, akut belastende Symptome zu reduzieren, zum Beispiel indem ihr gemeinsam Erdungs- und Achtsamkeitsübungen übt. Diese Phase kann je nach Situation einige Wochen bis Monate in Anspruch nehmen und soll dir die nötige Stabilität verleihen, um spätere, tiefere Prozesse zu bewältigen.
  2. Traumakonfrontation und -verarbeitung
    In der nächsten Phase geht es darum, traumatische Erinnerungen behutsam zu bearbeiten. Methoden wie EMDR oder imaginative Verfahren (zum Beispiel die Arbeit mit inneren Bildern) können helfen, das Erlebte zu integrieren und abzuschwächen, damit es nicht mehr ständig zu Dissoziation führt. Dieses Vorgehen ist oft anstrengend und kann alte Wunden aufreißen. Daher wird in dieser Phase viel Wert auf ausreichende Ressourcen und Pausen gelegt. Zudem ist ein vertrauensvolles Verhältnis zur Therapeutin oder zum Therapeuten essentiell, damit du dich sicher genug fühlst, um dich auf den Prozess einzulassen.
  3. Integration und Neuausrichtung
    Nachdem die belastenden Erinnerungen schrittweise verarbeitet wurden, geht es um die Integration in den Alltag. Hierbei kann es sein, dass du neue Lebensziele definieren möchtest oder deine Beziehungen und deine Identität neu gestaltest. Dissoziation als Abwehrmechanismus tritt dann mit der Zeit immer seltener auf, da du gelernt hast, mit Stress und Erinnerungen konstruktiver umzugehen.

Umgang mit Rückschlägen

Auf dem Weg der Bewältigung von Dissoziation kann es immer wieder zu Rückschlägen kommen. Vielleicht tritt plötzlich erneut ein starkes Gefühl von Entfremdung auf, obwohl du dachtest, du hättest bereits große Fortschritte gemacht. Hier ist es wichtig zu wissen: Heilung ist kein linearer Prozess.

Rückschritte gehören oft dazu und sind kein Zeichen dafür, dass alle bisherige Arbeit umsonst war. Vielmehr zeigen sie, dass noch Aspekte offen sind, die deiner Aufmerksamkeit bedürfen. Mit mehr Erfahrung kannst du lernen, solche Rückschläge schneller zu erkennen, sie zu verstehen und dich selbst zu beruhigen. Auf diese Weise wirst du immer kompetenter im Umgang mit dir selbst.


Selbstwert und Identität stärken

Dissoziation geht oftmals mit einem angeknacksten Selbstwertgefühl oder einer unsicheren Identität einher. Wenn du dich nicht mehr richtig spürst, kann es schwierig sein, ein stabiles Gefühl für dich selbst zu entwickeln. Daher lohnt es sich, parallel zur symptomatischen Behandlung auch gezielt am Selbstwert und an der eigenen Identität zu arbeiten.

  • Ressourcen-Tagebuch: Notiere dir täglich mindestens drei Dinge, die dir gelungen sind oder für die du dankbar bist. Das stärkt nicht nur deinen Fokus auf das Positive, sondern erinnert dich auch an deine Fähigkeiten.
  • Werte und Ziele: Definiere klar, welche Werte dir wichtig sind (z. B. Ehrlichkeit, Mitgefühl, Kreativität) und welche Ziele du in unterschiedlichen Lebensbereichen anstrebst. Das gibt dir einen roten Faden, an dem du dich orientieren kannst, wenn du dich wieder „verlierst“.
  • Körperarbeit: Methoden wie Yoga, Tai-Chi, Qi Gong oder auch Tanztherapie können helfen, das Körpergefühl zu verbessern und sich wieder als Ganzes wahrzunehmen. Durch regelmäßige Übung wird der Körper zunehmend als sicherer Anker erlebt.

Was Angehörige und Freunde tun können

Wenn eine nahestehende Person an Dissoziation leidet, kann das auch für das Umfeld sehr beunruhigend sein. Es tauchen Fragen auf wie: „Warum reagiert sie so seltsam?“ oder „Was kann ich machen, um zu helfen?“.

  1. Informiere dich: Je besser du verstehst, was Dissoziation ist, desto besser kannst du angemessen reagieren. Lies Bücher, Artikel oder sprich mit Fachleuten, um ein solides Wissen zu erlangen.
  2. Sei geduldig: Dissoziation ist oft ein Schutzmechanismus, der nicht einfach auf Knopfdruck abgeschaltet werden kann. Zeige Verständnis und vermeide Sätze wie „Reiß dich zusammen!“ – das verkennt die tiefe Ursache, die hinter diesem Zustand steckt.
  3. Biete Unterstützung an: Frage, ob du in einer akuten Situation etwas für die betroffene Person tun kannst. Manchmal reicht es, kurz da zu sein, eine Hand zu halten oder eine beruhigende Stimme zu bieten. Vielleicht hilft es auch, zusammen eine Erdungsübung zu machen.
  4. Eigenen Grenzen wahren: Gerade wenn du selbst emotional involviert bist, kann es belastend sein, dauerhafte Unterstützung zu bieten. Achte deshalb auch auf deine eigenen Bedürfnisse und ziehe notfalls professionelle Hilfe hinzu.

Fazit und Ausblick

Dissoziation ist mehr als nur ein kurzes „Abschalten“: Sie kann eine tiefgreifende Erfahrung sein, die den Alltag massiv beeinträchtigt. Häufig weist sie auf unverarbeitete Konflikte, traumatische Erlebnisse oder extreme Stresssituationen hin. Die gute Nachricht ist jedoch: Es gibt wirkungsvolle Therapien und Strategien, um mit Dissoziation umzugehen und sie langfristig in den Griff zu bekommen.

Wichtige Punkte zusammengefasst:

  • Dissoziation kann sich durch Gedächtnislücken, das Gefühl von Unwirklichkeit oder emotionale Taubheit äußern.
  • Häufige Auslöser sind traumatische Erlebnisse, aber auch anhaltender Stress oder innere Konflikte.
  • Therapeutische Angebote wie EMDR, DBT und andere Verfahren können helfen, die Ursachen aufzuarbeiten und Wege aus der Dissoziation zu finden.
  • Erdungs- und Achtsamkeitsübungen eignen sich gut, um in akuten Situationen wieder ins Hier und Jetzt zurückzufinden.
  • Professionelle Unterstützung ist oft notwendig, besonders wenn die Dissoziationen stark und langanhaltend sind.

Scheue dich nicht, Hilfe zu suchen: Insbesondere wenn du das Gefühl hast, dass dein Alltag stark eingeschränkt ist oder du mit heftigen Erinnerungen oder Gefühlen zu kämpfen hast. Es gibt spezialisierte Therapeutinnen, Psychologinnen und Beratungsstellen, die dich auf deinem Weg begleiten können.


Anlaufstellen und professionelle Unterstützung

Wenn du dich durch Dissoziationszustände belastet fühlst oder einen Menschen in deinem Umfeld hast, der damit zu kämpfen hat, kannst du dich an folgende Stellen wenden:

  • Psychotherapeutische Praxen: Achte darauf, dass die Fachperson Erfahrungen in der Traumatherapie oder im Umgang mit dissoziativen Störungen hat.
  • Kliniken für Psychosomatik oder Psychiatrie: In vielen Kliniken gibt es spezialisierte Traumaabteilungen.
  • Beratungsstellen: Je nach Region gibt es Beratungsstellen für Opfer von Gewalt, sexuellem Missbrauch oder auch allgemeine Krisenberatungsstellen. Dort kann man dir gezielt Kontakte vermitteln und erste psychologische Hilfe leisten.
  • Selbsthilfegruppen: Hier findest du Menschen mit ähnlichen Erfahrungen. Der Austausch kann sehr entlastend wirken und praktische Tipps für den Alltag liefern.

Denke daran, dass du nicht allein bist. Millionen von Menschen erleben im Lauf ihres Lebens eine Form von Dissoziation, und es gibt Wege, damit umzugehen. Gerade in unserer heutigen Zeit, in der psychische Gesundheit immer mehr zum Thema wird, findest du zahlreiche Informationen und Hilfsangebote. Manchmal ist der erste Schritt der schwerste – nämlich sich einzugestehen, dass man Hilfe braucht. Doch dieser Schritt lohnt sich, denn er ebnet den Weg zu mehr Lebensqualität, Stabilität und einem tieferen Verständnis von sich selbst.


(Hinweis: Dieser Blogtext dient der allgemeinen Information und ersetzt keine professionelle medizinische oder psychotherapeutische Beratung. Bei anhaltenden oder schweren Symptomen wende dich bitte an qualifizierte Fachkräfte.)

Glossar:
  1. Abspaltung (psychisch)
    In der Psychologie beschreibt Abspaltung das Abtrennen bestimmter Erlebnisse, Gefühle oder Erinnerungen vom bewussten Erleben. Oft ist dies ein unbewusster Schutzmechanismus, um starke seelische Belastungen besser auszuhalten.
  2. Achtsamkeit
    Achtsamkeit bedeutet, die Aufmerksamkeit bewusst auf den gegenwärtigen Moment zu richten, ohne ihn zu bewerten. Ziel ist es, innere und äußere Vorgänge – etwa Gedanken, Gefühle oder Sinneseindrücke – klar wahrzunehmen, statt sie automatisch zu verdrängen oder zu bewerten.
  3. Depersonalisation
    Eine Form der Dissoziation, bei der sich Betroffene von ihrem eigenen Körper oder ihrer Identität entfremdet fühlen. Menschen beschreiben oft das Gefühl, „neben sich zu stehen“ oder sich selbst wie eine fremde Person zu betrachten.
  4. Derealisation
    Ebenfalls eine Form der Dissoziation. Bei Derealisation wirkt die Umgebung unwirklich oder fremd, fast so, als würde man alles nur in einem Traum erleben. Häufig berichten Betroffene, Farben oder Geräusche als verändert wahrzunehmen.
  5. Dissoziation
    Ein psychischer Zustand, in dem Menschen sich von ihrer Umgebung oder ihren Gefühlen abgekoppelt fühlen. Verschiedene Bewusstseinsinhalte, die normalerweise zusammenarbeiten (z. B. Wahrnehmung, Emotion, Gedächtnis), werden teilweise oder vollständig voneinander getrennt.
  6. Dissoziative Amnesie
    Bezeichnet Gedächtnislücken, meist verbunden mit traumatischen oder stark stressbeladenen Erfahrungen. Betroffene können sich an bestimmte Ereignisse oder Zeiträume nicht mehr erinnern, weil diese Erinnerungen „abgespalten“ wurden.
  7. DBT (Dialektisch-Behaviorale Therapie)
    Ein therapeutisches Verfahren, das ursprünglich für Menschen mit Borderline-Persönlichkeitsstörung entwickelt wurde. Kernpunkte sind Achtsamkeit, Emotionsregulation, Stresstoleranz und zwischenmenschliche Fertigkeiten. Auch bei Dissoziationen kann DBT helfen, weil es Strategien vermittelt, Gefühle und Stress konstruktiver zu bewältigen.
  8. EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)
    Eine Therapieform, die häufig in der Traumatherapie eingesetzt wird. Durch gezielte Augenbewegungen (oder andere bilaterale Reize) während des Erinnerns an traumatische Erlebnisse sollen diese Erlebnisse „verarbeitet“ und neu eingeordnet werden, sodass ihre emotionale Intensität nachlässt.
  9. Identitätsveränderungen
    In schweren Fällen dissoziativer Störungen kann es vorkommen, dass Betroffene verschiedene Persönlichkeitsanteile entwickeln. Sie fühlen sich dann, als wären sie zeitweise eine andere Person und können sich im Nachhinein nicht an das Erlebte erinnern.
  10. Integration
    In der Psychotherapie beschreibt Integration den Prozess, vorher getrennte (dissoziierte) Erfahrungen, Emotionen und Erinnerungen ins Bewusstsein zu holen und stimmig ins Selbstbild zu integrieren. Dadurch verringern sich die dissoziativen Zustände langfristig.
  11. Innere Konflikte
    Situationen, in denen gegensätzliche Bedürfnisse, Werte oder Gefühle aufeinandertreffen und schwer vereinbar sind. Solche Konflikte können starken Stress auslösen, der unter anderem zu Dissoziation führen kann.
  12. Ressourcen
    Fähigkeiten, Stärken, soziale Kontakte oder innere Haltungen, die Menschen dabei unterstützen, Krisen zu meistern und seelische Stabilität zu erhalten. In der Therapie werden Ressourcen gezielt ausgebaut, um besser mit Dissoziationen und anderen Belastungen umzugehen.
  13. Stabilisierungsphase
    Eine Phase in der Trauma- oder Dissoziationsbehandlung, in der es zunächst darum geht, Betroffene im Hier und Jetzt zu stärken und zu stabilisieren. Hier werden vor allem Skills wie Erdung, Achtsamkeit und Emotionsregulation vermittelt, bevor tiefergehende Traumaaufarbeitung beginnt.
  14. Trauma
    Ein stark belastendes Ereignis (z. B. Unfall, Gewalt, Missbrauch), das das Sicherheitsempfinden erschüttert und zu andauernden psychischen Beschwerden führen kann. Dissoziation dient häufig als Schutzmechanismus, um Traumaerlebnisse zunächst „unzugänglich“ zu machen.
  15. Trigger
    Reize oder Situationen, die unbewusst an traumatische Erlebnisse erinnern und dadurch starke Stress- oder Angstsymptome auslösen können. Bei Menschen mit Dissoziation führen Trigger manchmal zu akuten Abspaltungen oder Depersonalisation/Derealisation.

(Dieses Glossar erklärt zentrale Fachbegriffe aus dem Text und erleichtert das Verständnis der Zusammenhänge. Bei weiteren Fragen solltest du eine fachkundige Person, z. B. aus dem therapeutischen Bereich, hinzuziehen.)

Links:

Allgemeine Informationen über Dissoziation

  1. Psychiatrie.de: Dissoziative Störungen
    Eine umfangreiche Plattform mit Informationen zu psychischen Erkrankungen, darunter auch dissoziative Störungen.
  2. DGPPN (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde)
    Fachliche Informationen zu psychiatrischen Themen und spezifischen Therapiemöglichkeiten.
  3. Trauma-Institut und Zentrum für psychologische Bildung
    Informationen rund um Trauma und Dissoziation mit Angeboten zu Fortbildungen und Beratungen.

Beratung und Unterstützung

  1. Weisser Ring
    Unterstützung für Opfer von Gewalt oder Kriminalität, einschließlich Trauma-Beratung.
  2. Telefonseelsorge
    Anonyme Beratung und erste Hilfe, wenn du akut Unterstützung benötigst.
  3. Opferhilfe Deutschland
    Beratung und Hilfestellungen für Menschen, die traumatische Erlebnisse bewältigen möchten.

Fachliche Therapieangebote

  1. EMDR Deutschland e.V.
    Informationen über EMDR-Therapie und Listen zertifizierter Therapeut*innen.
  2. DBT-Netzwerk Deutschland
    Informationen und Fachpersonen zur Dialektisch-Behavioralen Therapie.
  3. Psychotherapie-Informationsdienst (PID)
    Plattform zur Suche nach approbierten Psychotherapeut*innen in Deutschland.

Selbsthilfe und Austausch

  1. Trauma und Dissoziation – Selbsthilfegruppen
    Suche nach Selbsthilfegruppen in deiner Region.
  2. DIS-Support-Forum
    Online-Plattform für den Austausch mit anderen Betroffenen von Dissoziation und Traumafolgestörungen.

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Autor: Sascha Markmann

Legastheniker am Werk (Mehrfaches lesen meiner Postings kann zu irreparable Schäden an den Augen führen z. B.. Pseudotumor-zerebral-Syndrom) Leicht gestörter bis Mittel schwerer Fall von Überlebens Künstler, Maler, Blogger, Musiker, Podcaster und Video Produzenten "Audiovisueller STUMPFSINN mit keinem Nutzwert"

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