Wenn die Aufmerksamkeit immer bei dir ist …

„Wie unsichtbare Bedürfnisse entstehen, warum sie krank machen können – und was Betroffene und Familien heute konkret ändern können“

Manchmal dreht sich eine ganze Familie um das „Kind in der Krise“. Das andere Kind – häufig das ruhigere – hält aus, funktioniert, stellt eigene Bedürfnisse zurück und wird über Jahre schlicht unsichtbar. Dieser Beitrag erklärt die Mechanik hinter dieser Dynamik, zeigt typische Rollen („Lost Child“, Parentifizierung, „Identified Patient“) und verbindet sie mit deinem eigenen Erleben: eine Schwester im Dauerfokus, du selbst über Jahrzehnte still, damit „niemand zusätzliche Last“ hat – bis daraus ein Muster wurde, das weh tut. Zugleich nutzen wir Einsichten aus dem verlinkten Blogtext „Du vernachlässigst mich“, in dem eine Mutter die Perspektive des übersehenen Kindes ernst nimmt und Verantwortung benennt. Letters to Z.


1) Worum es hier wirklich geht

Hier wird beschreiben eine klassische, aber selten offen ausgesprochene Familiendynamik:

  • Ein Kind bindet das System, weil es wiederholt Grenzen sprengt, untertaucht, eskaliert (z. B. weglaufen), psychisch oder körperlich akut auffällig ist.
  • Das andere Kind reguliert das System, indem es still wird, Rücksicht nimmt, Konflikte meidet – und so unbemerkt Verantwortung übernimmt, die eigentlich Erwachsenen zukäme.

Im verlinkten Blogbeitrag formuliert die Autorin genau diese Sichtverschiebung: Das „leichtere“ Kind wird um Geduld gebeten, soll „sich raushalten“, während Eltern „Eiertanz“ um Konflikte des Geschwisters aufführen. Gleichzeitig klingt darin echte Selbstreflexion an: Anerkennung der Last, Bitte um Verzeihung, Dank für Empathie – und die Einsicht, dass diese Bürde dem Kind nicht zusteht. Diese Perspektivnahme ist wichtig, weil sie Unsichtbarkeit sichtbar macht. Letters to Z.


2) Begriffe, die helfen (ohne Pathologisieren)

  • „Identified Patient“ (IP): Das „Problemkind“, an dem die Symptome des Familiensystems sichtbar werden. Das System kreist um diesen Fokus; darunter rutschen Bedürfnisse der anderen durch. Out of the Storm+1
  • „Lost Child“ (das unsichtbare Kind): Unauffällig, belastbar, konfliktscheu; wirkt „pflegeleicht“, zahlt dafür mit Selbstentwertung und emotionaler Vereinsamung. Psychology Today
  • Parentifizierung: Kinder übernehmen zu früh elterliche oder partnerähnliche Aufgaben (emotional oder praktisch) – nach außen oft „reif“, nach innen überlastet. Folgen reichen von Angst und Schuldgefühlen bis Beziehungsproblemen im Erwachsenenalter. PMC+2PMC+2

Diese Konzepte erklären – sie vergeben nicht automatisch Schuld. Eltern handeln oft im Stress und ohne Sprache für das, was passiert. Aber gerade Sprache macht Wandel möglich.


3) Was im System passiert: Aufmerksamkeitsökonomie

Krisen ziehen Fokus. Das ist menschlich. Doch wenn Krisen chronisch werden, verschiebt sich die Verteilung von Zeit, Empathie und Entscheidungsrecht – still, schleichend, ohne dass jemand es explizit will. Studien zu Geschwisterkonstellationen und chronischer Krankheit zeigen bei „anderen“ Geschwistern mehr Angst, Traurigkeit, Überforderung und Einsamkeit, weil Ressourcen dahin fließen, „wo es brennt“. Das Erleben „Ich darf nicht belasten“ ist in diesen Settings häufig. PMC+1

Auch jenseits von Krankheit gilt: Je mehr konkurrierende Bedürfnisse, desto dünner verteilt sich Aufmerksamkeit. Untersuchungen berichten – Vorsicht: Korrelation, kein Schicksal –, dass mit mehr Geschwistern im Schnitt weniger elterliche Ressourcen pro Kind ankommen und mentale Belastungen steigen können. Qualität der Beziehungen bleibt aber der entscheidende Puffer. The Guardian+1

Übertragen auf deine Biografie: Deine Schwester band systemisch Aufmerksamkeit durch Ausreißen und Eskalationen; du zogst dich zurück, um „nicht auch noch Last zu sein“. Das war damals cleveres Coping – und wurde später zum Muster.


4) Von der Kindheitslogik zum Erwachsenenmuster

Kinder lösen „Familiensummen“ pragmatisch: „Wenn alle schon am Limit sind, werde ich klein, leise, stark, pflegeleicht.“ Das funktioniert – kurzfristig. Langfristig entsteht ein inneres Dogma:

  • Meine Bedürfnisse sind gefährlich / zu viel.
  • Hilfe erbitten = den anderen schaden.
  • Ich existiere, indem ich funktioniere.

Wenn du heute – selten, planvoll, z. B.„nur einmal pro Woche für wenige Stunden“ – Unterstützung einforderst und dir dann Selbstbezogenheit vorgeworfen wird, prallt Gegenwart auf Vergangenheit: Du kollidierst nicht mit einer aktuellen Bitte, sondern mit dem alten Skript, in dem du bedingungslos kompensieren sollst.


5) Warum das krank machen kann (und wie Borderline hineinpasst)

Die Biosoziale Theorie (Linehan) beschreibt Borderline als Zusammenspiel aus emotionaler Vulnerabilität und invalider Umgebung: Große Gefühle treffen auf Umfelder, die diese Gefühle nicht spiegeln, nicht strukturieren oder abwerten. Das erzeugt instabile Emotionsregulation, Identitätsunsicherheit und Beziehungsstress. Chronische Unsichtbarkeit bzw. Parentifizierung sind typische invalide Kontexte – sie sagen subtil: „Dein Innenleben ist nachrangig.“ PMC+2Cambridge University Press & Assessment+2

Wichtig: Niemand „macht“ allein Borderline. Es ist die Summe: Biologie, Temperament, Bindung, Pech, Kultur, Krisen – und ja, auch die Rollen, die du früh übernehmen musstest. Das entspricht auch Forschung zu Familienstruktur und psychischer Gesundheit, die den Anteil psychosozialer Faktoren betont, ohne Monokausalität zu behaupten. PMC


6) Was der verlinkte Blogtext beisteuert – als Gegengift

Das Besondere an „Du vernachlässigst mich“ ist nicht die Diagnose, sondern die Haltung: Die Autorin benennt, dass die „Aufnahmefähigkeit“ in Familienkrisen sinkt, ohne die Bedürfnisse des ruhigen Kindes zu relativieren. Sie anerkennt Rücksicht, Wartezeit, Geduld – und markiert „Diese Bürde gehört nicht auf deine Schultern“. Diese Validierung ist therapeutisch Gold wert: Sie entkoppelt Liebe von Funktionieren, erlaubt dem stillen Kind, wichtiger zu werden als der Frieden um jeden Preis. Letters to Z.


7) Typische Mikro-Dynamiken (Checkliste)

Erkennst du dich (oder eure Familie) in einigen der folgenden Punkte?

  1. Krisenlotse: Du scannst Stimmungen („Eiertanz-Radar“) und verhinderst Eskalationen proaktiv.
  2. Kein Kummerkonto: Du verschiebst eigene Themen, bis „mehr Ruhe“ ist – die nie kommt.
  3. Hilferationierung: Du planst Unterstützung wie eine OP („einmal die Woche, wenige Stunden“), um ja nicht zu stören – und erntest trotzdem Vorwürfe.
  4. Rollenstarre: Geschwister bleibt „Fokusperson“, du bleibst „funktional“ – selbst wenn Fakten sich ändern.
  5. Inversionsschuld: Wenn du Raum nimmst, gilt das als Egoismus – während 20 Jahre Unsichtbarkeit als „normal“ galten.

Wenn dir mehrere Punkte bekannt vorkommen, brauchst du keine weitere Rechtfertigung: Dein Erleben ist valide.


8) Was jetzt hilft – praxisnah und familientauglich

8.1 Für dich (Selbstregulation & Re-Parenting)

  • Validierungs-Formel (3 Sätze):
    1. „Was ich fühle, hat Sinn (Kontext).“
    2. „Ich darf Hilfe wollen (Würde).“
    3. „Ich wähle einen kleinen, konkreten Schritt (Handlung).“
  • Gefühls-/Bedürfnisprotokoll (täglich 5 Min): „Ich fühle … weil … Ich brauche … Ich bitte um …“ – das dreht „ich bin eine Last“ in klare Bitten um.
  • DBT-Basics im Alltag: Stresstoleranz (Eiswürfel, kaltes Wasser, „diving reflex“), Achtsamkeit (5-4-3-2-1), Zwischenmenschliche Wirksamkeit (DEAR MAN, GIVE, FAST). Diese Techniken sind Kernbestandteile wirksamer Borderline-Behandlung. PMC

8.2 In der Familie (neue Leitplanken)

  • Ressourcen-Budget sichtbar machen: Eine gemeinsame Wochentafel: Crisis-Time, Care-Time, Me-Time für jedes Familienmitglied. Mindestens 1×/Woche 60 Min exklusive Zeit für das vormals „unsichtbare“ Mitglied – ohne Krisenübernahme.
  • „Kein Feuer-Alarm sticht immer alles“-Regel: Nur lebensbedrohliche Situationen übersteuern verabredete Zeiten. Sonst gilt: Termine sind heilig.
  • Doppel-Validierung als Standard: „Ja, X geht es gerade schlecht und ja, Y hat heute Anspruch auf Unterstützung.“ Entweder-oder verwandeln in Sowohl-als-auch.
  • Rollen rotieren: Wer organisiert, wer begleitet, wer entlastet – rollierend, damit Verantwortung geteilt wird.

8.3 Für Eltern / Bezugspersonen

  • Sprachliche Wiedergutmachung: Nicht nur „Hab Geduld“, sondern: „Wir haben dich zu oft gebeten zu warten. Das war nicht fair. Ab heute achten wir aktiv auf deine Zeit.“
  • Aufmerksamkeitsdividende: Jeden Erfolg des ruhigen Kindes laut machen („Ich sehe, wie du deine Bedürfnisse klar formulierst“). Das ersetzt die frühere Belohnung fürs Unsichtbarsein.
  • Systemische Perspektive: Wenn ein Kind „IP“ ist, bitte Familie mitdenken – nicht nur das auffällige Kind. (Familientherapie/Elterncoaching). Embark Behavioral Health

9) Wenn der Vorwurf kommt: „Du willst nur Aufmerksamkeit“

Das ist die Rückkehr der alten Erzählung. Antwortvorschlag (kurz, ruhig, wiederholbar):

„Ich will Verbindlichkeit, nicht Drama. Einmal pro Woche zwei Stunden Unterstützung sind Absprachen, keine Aufmerksamkeitsjagd. Als Kind habe ich still gehalten, damit Platz für Krisen war. Heute sorge ich gut für mich – und bleibe loyal zur Familie.“

Damit kippst du die Logik von „Aufmerksamkeit weg von X“ zu „Aufmerksamkeit zu mir, ohne X abzuwerten.“


10) Wann professionelle Hilfe unverzichtbar ist

  • Du kippst in Dissoziation / Suizidimpulse / Selbstverletzung.
  • Jedes Gespräch endet in Eskalation oder Schweigen.
  • Alte Muster dominieren neue Beziehungen.

Dann sind DBT, Schematherapie oder trauma-informierte Settings indiziert. Sie verbinden Emotions- und Beziehungsarbeit – genau die Zonen, in denen Unsichtbarkeit gelernt wurde. (Biosoziale Modelle und Wirksamkeitsbelege s. o.) PMC+1


11) Eine Brücke aus dem Blogtext in eure Gegenwart

Nimm dir einen Satz aus dem verlinkten Beitrag als Startsignal für neue Praxis. Zum Beispiel die dortige Anerkennung: dass Geduld, Rücksicht und Mittragen gesehen werden müssen – und dass die Bürde nicht auf kindliche Schultern gehört. Übersetze das in eure Woche:

  • „Welche Bürde trage ich noch, die mir nicht zusteht – und wie lege ich sie konkret ab?“
  • „Welche 60 Minuten gehören nächste Woche nur mir – verbindlich, ohne Krisenübersteuerung?“
  • „Wer in der Familie spiegelt mir aktiv, was ich gut mache – unabhängig von Funktionieren?“

So wird Einsicht zu Struktur. Und Struktur heilt, wo früher Schweigen war. Letters to Z.


Mein persönlicher Kontext – stimmig eingeordnet

Kindheit im Schatten – als meine Schwester den Fokus bekam

Wenn ich auf meine eigene Geschichte schaue, dann erkenne ich vieles von dem, was hier beschrieben wurde. Ich war 16, meine Schwester 14. Sie lief immer wieder von zuhause weg, manchmal für Tage oder Wochen. Damals richtete sich die gesamte Aufmerksamkeit auf sie – verständlicherweise, weil ihre Eskapaden alle in Alarmbereitschaft versetzten. Ich selbst hielt mich zurück. Mit meinen Ängsten und Nöten wollte ich nicht auch noch zur Last fallen. Also habe ich geschwiegen und funktioniert.

Jahrzehntelanges Muster: Unsichtbar bleiben, um nicht zur Last zu fallen

Das war nicht nur eine Phase, sondern hat sich über Jahrzehnte fortgesetzt. Meine Schwester stand im Mittelpunkt, sie brauchte die Zeit, die Energie und die Aufmerksamkeit der ganzen Familie. Für mich blieb der Platz im Schatten – und wenn ich einmal Hilfe brauchte, dann wurde mir schnell vorgeworfen, dass es gerade nicht um mich gehen könne.

Überlebensstrategie mit Folgen – mein Weg in die Borderline-Dynamik

Heute verstehe ich: Dieses Muster – stillhalten, warten, nichts einfordern – hat mich geprägt. Es war damals ein Überlebensmechanismus, aber langfristig hat es dazu beigetragen, dass ich selbst eine Borderline-Persönlichkeitsstörung entwickelt habe. Nicht weil es nur diese eine Erfahrung gab, sondern weil es eine Summe vieler Dinge war. Die Situation mit meiner Schwester war nur ein Teil davon, aber ein Teil, der vieles in Bewegung gesetzt hat.

Nach dem Schlaganfall: Wenn notwendige Hilfe zum Vorwurf wird

Besonders deutlich wurde mir das nach meinem schweren Schlaganfall vor einigen Jahren. Seitdem bin ich stärker auf Unterstützung angewiesen – nicht ständig, aber in bestimmten Bereichen mehr als früher. Genau das hat jedoch zu neuen Konflikten geführt. Meine Schwester warf mir regelmäßig vor, dass ich jetzt Hilfe brauche und dass dadurch „alles wieder um mich kreise“. Dabei war es nie um Aufmerksamkeit oder Drama gegangen, sondern schlicht um notwendige Unterstützung.

Kontaktabbruch – wenn alte Muster bis heute nachwirken

Die Situation eskalierte schließlich so weit, dass es seit Monaten keinen Kontakt mehr gibt – von ihrer Seite aus. Für mich ist das schmerzhaft, aber auch bezeichnend: Selbst in einer Lebensphase, in der ich objektiv mehr Unterstützung brauche, bleibt das alte Muster bestehen – und führt am Ende zum Bruch.

Sichtbar werden – warum ich meine Geschichte teile

Wenn ich das auf mein Leben von heute übertrage, dann merke ich, wie tief diese Rolle in mir steckt. Selbst jetzt, über 30 Jahre später, fällt es mir schwer, Raum einzunehmen und Bedürfnisse klar auszusprechen – ohne sofort das Gefühl zu haben, eine Last zu sein. Genau deshalb schreibe ich darüber: um sichtbar zu machen, was lange unsichtbar war.
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13) Mini-Werkzeuge (sofort einsetzbar)

  1. „2-Stunden-Ticket“ (wöchentlich): Du buchst verbindlich zwei Stunden Unterstützung. Wird abgesagt, entsteht automatisch Ersatzslot in derselben Woche.
  2. „Kein-Notfall-Dienst am Tisch“: Bei gemeinsamen Mahlzeiten keine Krisenberichte; Fokus wechselt reihum (High/Low der Woche).
  3. „Need-first-Formulierung“: Statt „Du hilfst mir nie“ → „Ich brauche konkrete Unterstützung bei X (30 Min, Mittwoch 18 Uhr).“
  4. „Rollen-Reset“ pro Quartal: Familienmeeting, in dem Aufgaben neu verteilt werden – inklusive Pause vom „Verlässlich-sein-Müssen“.

14) Zum Schluss

Du hast dir damals das Überleben organisiert. Heute geht es um Leben. Der Unterschied ist: Du darfst laut sein, ohne laut zu werden. Und wenn jemand sagt: „Jetzt willst du auf einmal Aufmerksamkeit“, dann antworte: „Nein. Ich nehme mir Anteil – meinen.“

Euer Sascha


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Quellen (Auswahl) & weiterführende Literatur:
– „Du vernachlässigst mich“ – Letters to Z. (Blogbeitrag, 15. 09. 2025). Letters to Z.
– Parentifizierung & Folgen (Reviews/Studien): PMC-Artikel (2023), PMC-Artikel (2022), NPJ (2024). PMC+2PMC+2
– Geschwister & psychische Gesundheit (Reviews/Artikel): PMC-Review (2022); Berichte zu Ressourcenverdünnung. PMC+2The Guardian+2
– Biosoziales Modell (Borderline): Grundlagen & neuere Validierungen. PMC+2Cambridge University Press & Assessment+2
– Rollen im Familiensystem (Lost Child, Identified Patient etc.). Psychology Today+1

Song zum Thema

Ergänzung: „Schattenkind“ – Musik als Ausdruck meiner Geschichte

Das Thema der Unsichtbarkeit hat für mich nicht nur in Texten, sondern auch in meiner Musik einen Platz gefunden. Unter meinem Projekt Raumwelle habe ich den Song „Schattenkind“ veröffentlicht. Der Titel ist bewusst gewählt: Er steht für das Gefühl, immer am Rand zu stehen, im Schatten anderer, ohne dass die eigenen Bedürfnisse gesehen werden.

In „Schattenkind“ habe ich versucht, diese Erfahrung in Klang zu übersetzen – mit dunklen, atmosphärischen Flächen, die eine bedrückende Grundstimmung erzeugen, und plötzlichen, helleren Sequenzen, die wie kurze Momente von Hoffnung wirken. Der Track ist damit nicht nur Musik, sondern auch eine persönliche Verarbeitung meiner Biografie.

Dass ich mich für den Namen Raumwelle entschieden habe, hängt damit zusammen, dass Musik für mich Räume schafft – emotionale Räume, in denen Gefühle Platz bekommen, die im Alltag oft keinen Ausdruck finden. So wie die Texte hier im Blog Unsichtbares sichtbar machen, versuche ich es in meiner Musik mit Klängen.

„Schattenkind“ ist damit nicht nur ein Song, sondern auch ein Stück Selbstbeschreibung – ein künstlerisches Echo auf die Rolle, die ich über Jahrzehnte hinweg in meiner Familie gespielt habe.

Glossar – Fachbegriffe erklärt

Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS)
Eine psychische Störung, die durch starke emotionale Schwankungen, instabile Beziehungen, Identitätsunsicherheit und impulsives Verhalten geprägt ist. Ursache ist ein Zusammenspiel aus biologischer Verwundbarkeit und belastenden Umwelterfahrungen.

Biosoziales Modell
Theorie nach Marsha Linehan: Borderline entsteht aus zwei Komponenten – (1) einer biologischen Neigung zu intensiven Gefühlen und (2) einer Umgebung, die diese Gefühle nicht anerkennt oder abwertet (sog. „invalide Umgebung“).

Invalidierende Umgebung
Ein Umfeld, in dem Gefühle und Bedürfnisse nicht gespiegelt, ernst genommen oder strukturiert werden. Beispiel: „Stell dich nicht so an“ oder dauerhaftes Übergehen der eigenen Signale.

Parentifizierung
Wenn Kinder Aufgaben und Verantwortung übernehmen, die eigentlich Erwachsenen zustehen – emotional (Trösten, Stabilisieren) oder praktisch (Organisieren, Pflegen). Führt oft zu Überlastung und dem Gefühl, keine eigene Kindheit gehabt zu haben.

Lost Child („unsichtbares Kind“)
Ein Begriff aus der systemischen Familientherapie: das unauffällige, ruhige Kind, das eigene Bedürfnisse zurückstellt, damit es „nicht stört“. Oft entwickelt es in der Folge ein geringes Selbstwertgefühl und Schwierigkeiten, eigene Bedürfnisse zu benennen.

Identified Patient (IP)
Begriff aus der Familientherapie für das „Symptomträger-Kind“, das die Probleme des ganzen Systems sichtbar macht. Häufig kreist die Aufmerksamkeit um dieses Kind, während andere Geschwister übersehen werden.

Ressourcenverdünnung
Soziologischer Begriff: Je mehr Kinder in einer Familie leben, desto dünner verteilen sich die elterliche Zeit, Aufmerksamkeit und Ressourcen. Ob dies negative Folgen hat, hängt stark von der Beziehungsqualität ab.

Validierung
Das bewusste Anerkennen und Bestätigen von Gefühlen oder Bedürfnissen. Beispiel: „Ich sehe, dass du traurig bist, und das ergibt Sinn.“ Gilt als zentrale Technik in Therapie und Beziehungen.

DBT (Dialektisch-Behaviorale Therapie)
Eine spezielle Therapieform für Borderline, entwickelt von Marsha Linehan. Sie kombiniert Verhaltenstherapie mit Achtsamkeit und Fertigkeitentraining (z. B. Stresstoleranz, Emotionsregulation, zwischenmenschliche Wirksamkeit).

Dissoziation
Psychologischer Zustand, bei dem Betroffene sich „abgespalten“ fühlen – von Gefühlen, Körper oder Realität. Reaktion auf Überforderung oder Trauma.

Schematherapie
Eine moderne Form der Psychotherapie, die alte Denk- und Verhaltensmuster („Schemata“) erkennt und bearbeitet, die in der Kindheit entstanden sind.

Autor: Sascha Markmann

Sascha Markmann ist ein kreativer Kopf mit bewegter Biografie: Informatiker, studierter Philosoph, Religionswissenschaftler und Psychologe – und gleichzeitig ein Mensch, der das Leben nach einem Schlaganfall ganz neu entdeckt hat. Nach Stationen als Rettungssanitäter und Altenpfleger fand Sascha seinen Weg in die Welt des kreativen Ausdrucks: Als Blogger, Musiker, Podcaster, Philosoph und visueller Geschichtenerzähler kombiniert er technisches Know-how mit emotionaler Tiefe und einem schrägen Sinn für Humor. Seine Beiträge entstehen irgendwo zwischen Borderline, Acid Bassline und Beistand – ehrlich, direkt und gerne auch mal mit einem Augenzwinkern. Leitmotiv: „Audiovisueller Stumpfsinn mit keinem Nutzwert – aber vielleicht genau deshalb so wertvoll.“

3 Gedanken zu „Wenn die Aufmerksamkeit immer bei dir ist …“

  1. Hallo Sascha, danke für diesen Beitrag. Familiendynamiken und -mechanismen scheinen am härtesten überhaupt zu durchbrechen, und leider sind sie die totalen mentalen Weichensteller für die Zukunft. Ich freue mich, dass Du Deine Stimme gefunden hast.

  2. Haha, Sascha, das mit dem „Eiertanz-Radar und der „Rollenstarre trifft den Kern – nur dass bei meiner Familie die Uhr im Krisenmodus immer auf „Never Never Land steht. Dass meine „unsichtbare Rolle sich bis ins Alter durchgesetzt hat, ist ja, wie gesagt, „logisch. Aber die Idee, dass ich jetzt als „Notfall agieren soll, während meine Schwester (ja, die *wahre* Starke) ihre Eskapaden fortsetzt, ist einfach „faktisch absurd. Danke für den Denkanstoß – vielleicht buche ich mir die „2-Stunden-Ticket-Strategie jetzt direkt für meine eigene Familie! 😉

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