Wie erkenne ich Dissoziation bei mir oder meinem Partner?

„Dissoziation erkennen: Wenn du dich oder deinen Partner plötzlich „nicht mehr da“ erlebst. Wie du Anzeichen verstehst und sensibel damit umgehst.“

Einleitung: Warum es wichtig ist, Dissoziation zu erkennen

Vielleicht kennst du solche Momente: Du sitzt in einem Raum voller Menschen – aber plötzlich fühlst du dich wie unsichtbar. Du hörst Stimmen, aber sie klingen wie aus weiter Ferne. Oder du merkst, dass du eine Strecke mit dem Auto gefahren bist, ohne dich bewusst daran zu erinnern. Solche Erfahrungen können erschreckend sein, besonders wenn sie häufiger auftreten. Vielleicht fragst du dich: Was stimmt mit mir nicht?

Oder du beobachtest bei einem geliebten Menschen, dass er auf einmal wie „weg“ ist. Er reagiert nicht mehr richtig, starrt ins Leere, wirkt abwesend oder verändert – und du weißt nicht, wie du helfen kannst. In beiden Fällen lohnt es sich, das Thema Dissoziation näher kennenzulernen.

Denn: Je früher man Dissoziation erkennt, desto eher kann man unterstützend handeln – einfühlsam, ohne Überforderung. Viele Menschen wissen gar nicht, dass das, was sie erleben, einen Namen hat. Doch wenn man es erkennt, verliert es seinen Schrecken. Statt Hilflosigkeit kann Verständnis treten. Und Verständnis ist der erste Schritt zu echter Unterstützung.


Was ist Dissoziation? – Einfach erklärt

Das Wort „Dissoziation“ klingt erstmal kompliziert, aber die Idee dahinter ist eigentlich ganz einfach. Es bedeutet: etwas wird getrennt.

Unser Gehirn ist ein Wunderwerk – und es hat Schutzmechanismen, um mit extremem Stress, Schmerz oder Bedrohung umzugehen. Einer dieser Mechanismen ist die Dissoziation. Wenn etwas zu belastend ist – etwa ein Trauma, Überforderung oder intensive Gefühle –, „trennt“ das Gehirn bestimmte Eindrücke oder Gefühle vom Bewusstsein ab.

Ein Vergleich zur Veranschaulichung:

Stell dir dein inneres Erleben wie ein großes Mischpult vor. Normalerweise sind alle Regler aktiv: Körpergefühl, Emotionen, Gedanken, Sinneseindrücke. Wenn aber eine Situation zu viel wird, schiebt dein Gehirn einige Regler einfach runter. Plötzlich hörst du weniger, fühlst weniger oder nimmst dich selbst kaum noch wahr – einfach, um dich zu schützen.

Das kann hilfreich sein – kurzfristig. Doch wenn Dissoziation häufig oder stark auftritt, kann sie das Leben erheblich beeinträchtigen.


Formen von Dissoziation

Dissoziation ist kein „Alles-oder-nichts“-Phänomen. Es gibt viele Abstufungen – von leichten Alltagsphänomenen bis zu tiefgreifenden Bewusstseinsveränderungen. Hier ein paar Beispiele aus dem Alltag:

1. Alltagstypische Dissoziation

  • Du fährst eine bekannte Strecke mit dem Auto und erinnerst dich kaum daran. (Autopilot)
  • Du liest ein Buch und hast plötzlich zwei Seiten überflogen, ohne bewusst etwas mitzubekommen.
  • Du träumst vor dich hin und verlierst das Zeitgefühl.

➡️ Diese Zustände kennt fast jeder. Sie sind ungefährlich und oft harmlos – eine Art Mini-Dissoziation.

2. Schutzreaktion auf Überforderung

  • Du hast einen Streit mit einer geliebten Person. Plötzlich fühlst du dich wie betäubt, als würde jemand innerlich den Ton ausschalten.
  • Bei einem lauten Geräusch bekommst du Panik und „bist weg“ – dein Blick wird leer, deine Stimme erstarrt.

➡️ Hier reagiert dein Nervensystem auf Bedrohung. Es schaltet auf Schutzmodus. Das kann eine Reaktion auf unverarbeitete Erfahrungen sein.

3. Dissoziation als Symptom

  • Du verlierst regelmäßig das Zeitgefühl oder hast Blackouts.
  • Du fühlst dich über weite Strecken wie ein Roboter oder „nicht echt“.
  • Du hast das Gefühl, dich selbst von außen zu sehen.

➡️ In solchen Fällen kann Dissoziation ein Anzeichen für eine psychische Belastung oder Störung sein – z. B. eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) oder eine Dissoziative Identitätsstruktur. Dann ist es wichtig, professionelle Hilfe zu suchen.


Anzeichen von Dissoziation – worauf du achten kannst

Dissoziation ist oft schwer zu erkennen, weil sie nach außen unauffällig sein kann. Menschen, die dissoziieren, wirken manchmal einfach nur „abwesend“. Doch mit einem geschärften Blick lassen sich typische Signale erkennen. Hier eine ausführliche Liste mit Erklärungen und Beispielen:

🧠 Kognitive Anzeichen

  • Gedankenleere: Du versuchst zu denken, aber es ist, als sei dein Kopf leer. Du findest keine Worte oder Gedanken.
  • Erinnerungslücken: Du hast Probleme, dich an Dinge zu erinnern, die du gerade getan oder gesagt hast.
    • Beispiel: Du führst ein Gespräch, aber weißt später nicht mehr, was du gesagt hast.
  • Zerfall des Zeitgefühls: Minuten fühlen sich wie Stunden an – oder umgekehrt.
    • Beispiel: Du denkst, du hättest nur kurz geschlafen, aber es sind drei Stunden vergangen.

😶 Emotionale Anzeichen

  • Innere Leere: Du fühlst nichts – weder Traurigkeit noch Freude.
    • Beispiel: Du bekommst eine gute Nachricht, aber spürst keinerlei Reaktion in dir.
  • Unfähigkeit zu weinen oder sich zu freuen.
  • Emotionale Taubheit: Du weißt, dass du traurig sein solltest, aber es kommt nichts an.

👁️ Wahrnehmungsveränderungen

  • Die Welt wirkt fremd oder unwirklich („Derealisation“).
    • Beispiel: Deine Wohnung fühlt sich an wie ein Ort, an dem du noch nie warst.
  • Du selbst fühlst dich fremd („Depersonalisation“).
    • Beispiel: Du schaust in den Spiegel und erkennst dein Gesicht nicht richtig.

🧍‍♀️ Körperliche Anzeichen

  • Starre, Bewegungslosigkeit: Du frierst ein, kannst dich nicht bewegen oder reagierst nur noch mechanisch.
  • Taubheitsgefühl: Körperteile fühlen sich taub oder nicht zugehörig an.
  • Keine Reaktion auf Reize: Du spürst Berührungen kaum oder gar nicht.

🗣️ Verhalten und Kommunikation

  • Automatisches Reden oder Handeln, ohne bewusst dabei zu sein.
    • Beispiel: Du merkst erst später, dass du jemandem geantwortet hast.
  • Wechsel im Ausdruck oder der Sprache.
  • Starrer Blick, keine Reaktion auf Ansprache.

Wie erkenne ich Dissoziation bei meinem Partner?

Dissoziation von außen zu erkennen, kann herausfordernd sein – besonders wenn man die Person gut kennt und die Veränderung plötzlich eintritt. Hier ein paar typische Situationen:

Beispiel 1: In einer Streit-Situation

Du streitest mit deinem Partner. Plötzlich bricht die Kommunikation ab. Er starrt an dir vorbei, sagt nichts mehr, seine Mimik wirkt leer. Du fragst: „Sag doch was!“ – aber er reagiert nicht. Es wirkt, als sei er nicht mehr da.

➡️ Wahrscheinlich hat er gerade dissoziiert – als Schutzmechanismus gegen emotionale Überforderung.

Beispiel 2: In einer scheinbar normalen Alltagssituation

Ihr geht spazieren. Plötzlich wird dein Partner langsamer, bleibt stehen, wirkt abwesend. Auf deine Fragen antwortet er kaum oder mit verzögerten Reaktionen. Er scheint verwirrt, als wüsste er nicht, wo er ist.

➡️ Auch das kann eine Dissoziation sein – möglicherweise ausgelöst durch ein Geräusch oder ein inneres Gefühl, das an etwas Belastendes erinnert.


Was tun bei akuter Dissoziation?

Erstes Ziel: Sicherheit und Orientierung

Dissoziation bedeutet für die betroffene Person Kontrollverlust. Deshalb ist es wichtig, ihr sanft dabei zu helfen, wieder ins Hier und Jetzt zurückzukommen. Hier einige einfache, aber wirkungsvolle Strategien:

✅ Für Betroffene

1. Atmen – ganz bewusst

  • Lege eine Hand auf deine Brust und die andere auf deinen Bauch.
  • Atme langsam ein und zähle dabei bis 4, dann ausatmen und bis 6 zählen.
  • Achte darauf, wie sich dein Körper bewegt.

2. Reize setzen – bewusst und sanft

  • Kaltes Wasser auf die Handgelenke laufen lassen
  • Ein Gummiband am Handgelenk leicht schnippen lassen
  • Einen Geruch riechen (z. B. Pfefferminzöl, Zimt, Kaffee)

3. Umgebung wahrnehmen

  • Nenne 5 Dinge, die du siehst
  • Nenne 4 Dinge, die du spürst
  • Nenne 3 Dinge, die du hörst
  • Nenne 2 Dinge, die du riechst
  • Nenne 1 Sache, die du schmecken kannst

✅ Für Unterstützende

1. Ruhig und liebevoll ansprechen

„Ich bin da. Du bist gerade vielleicht nicht ganz da, aber ich passe auf dich auf.“

2. Keine schnellen Bewegungen, keine Vorwürfe

  • Druck („Jetzt reiß dich zusammen!“) ist kontraproduktiv.
  • Stattdessen sanft begleiten, Geduld zeigen.

3. Reize moderieren

  • Reiche einen bekannten Gegenstand: „Hier ist dein Schlüssel – spür ihn in deiner Hand.“
  • Biete ein Getränk an oder frage: „Magst du einen Schluck Wasser?“

4. Körperkontakt nur mit Erlaubnis

  • Nicht jede betroffene Person will oder kann in dem Moment Berührung zulassen.
  • Frage: „Möchtest du, dass ich deine Hand halte?“

Was tun, wenn Dissoziation öfter auftritt?

Dissoziation ist ein Hinweis: Etwas war oder ist zu viel. Sie zeigt, dass die Seele in Not ist oder war – oft schon lange. Deshalb lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Hier ein paar Impulse:

🌱 Selbstfürsorge

  • Regelmäßiger Schlaf, geregelte Tagesstruktur
  • Achtsamkeit üben (z. B. durch Meditation, Journaling, Spaziergänge)
  • Stressoren im Alltag identifizieren und reduzieren

🤝 Beziehungspflege

  • Offene Gespräche über belastende Gefühle ermöglichen
  • Trigger erkennen und benennen („Wenn du laut wirst, spüre ich sofort diese Leere in mir.“)
  • Gemeinsam Rituale schaffen, die Sicherheit geben

🧠 Psychologische Unterstützung

Wenn Dissoziationen stark oder häufig auftreten, ist es wichtig, sich professionelle Hilfe zu holen. Besonders Trauma-Therapeut:innen oder Fachleute für komplexe PTBS können helfen, innere Stabilität zurückzugewinnen.


Fazit: Verstehen ist der erste Schritt zur Heilung

Dissoziation ist kein Zeichen von Schwäche – sondern ein stiller Ruf nach Schutz. Wer dissoziiert, schützt sich vor Überforderung, Angst, Schmerz. Das ist ein Akt der Selbstverteidigung. Doch auf Dauer kann dieser Schutz zur Belastung werden. Deshalb ist es so wertvoll, Dissoziation zu erkennen, zu verstehen – und liebevoll darauf zu reagieren.

Egal ob bei dir selbst oder deinem Partner: Du bist nicht allein. Es gibt Wege, aus der inneren Abwesenheit zurückzukommen. Mit Geduld, Mitgefühl – und manchmal mit professioneller Hilfe.

Du bist nicht kaputt. Du hast überlebt. Jetzt darfst du lernen, wirklich da zu sein.


🧾 Glossar: Wichtige Begriffe rund um Dissoziation


🔹 Dissoziation

Ein psychischer Schutzmechanismus, bei dem Gedanken, Gefühle oder Wahrnehmungen vom Bewusstsein abgetrennt werden. Betroffene erleben sich selbst oder die Umwelt als fremd, leer oder unwirklich.


🔹 Derealisation

Ein Zustand, in dem die Umgebung als fremd, unecht oder verzerrt empfunden wird – obwohl man weiß, dass sie real ist. Häufig beschrieben als „wie im Film“ oder „durch eine Glasscheibe sehen“.


🔹 Depersonalisation

Man erlebt sich selbst als fremd oder fühlt sich losgelöst vom eigenen Körper. Häufig entsteht das Gefühl, sich „von außen“ zu beobachten oder nicht mehr richtig man selbst zu sein.


🔹 Trigger

Ein Reiz (z. B. Geräusch, Geruch, Ort), der unbewusst Erinnerungen an eine frühere belastende Erfahrung oder ein Trauma auslöst – und eine starke emotionale oder dissoziative Reaktion hervorrufen kann.


🔹 PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung)

Eine psychische Reaktion auf ein oder mehrere traumatische Erlebnisse. Symptome sind z. B. Flashbacks, Albträume, emotionale Taubheit und starke innere Anspannung. Dissoziation ist ein häufiges Begleitsymptom.


🔹 Flashback

Ein plötzliches, intensives Wiedererleben eines Traumas – als wäre es gerade jetzt real. Oft ist die betroffene Person in dem Moment stark dissoziiert und verliert die Orientierung.


🔹 Achtsamkeit

Eine Methode, um bewusst im gegenwärtigen Moment zu bleiben. Durch gezielte Wahrnehmung von Gedanken, Körperempfindungen und der Umgebung kann man Dissoziation entgegenwirken.


🔹 Selbstregulation

Die Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen, wenn man innerlich aus dem Gleichgewicht gerät. Strategien zur Selbstregulation helfen, in akuten dissoziativen Zuständen wieder ins Hier und Jetzt zu kommen.


🔹 Trauma

Eine seelische Verletzung durch ein extrem belastendes Erlebnis, das das Sicherheitsempfinden dauerhaft stören kann. Trauma ist oft die Ursache für Dissoziation.


🔹 Stabilisierung

Maßnahmen und Übungen, die helfen, psychisch stabil zu bleiben oder wieder zu werden. Ziel ist es, einen sicheren inneren Zustand zu schaffen – besonders wichtig bei traumatischen Erfahrungen.


Entdecke mehr von LautFunk

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.

Autor: Sascha Markmann

Legastheniker am Werk (Mehrfaches lesen meiner Postings kann zu irreparable Schäden an den Augen führen z. B.. Pseudotumor-zerebral-Syndrom) Leicht gestörter bis Mittel schwerer Fall von Überlebens Künstler, Maler, Blogger, Musiker, Podcaster und Video Produzenten "Audiovisueller STUMPFSINN mit keinem Nutzwert"

Kommentar verfassen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

Entdecke mehr von LautFunk

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen