Warum Männer oft anders betroffen sind als Frauen – und was das mit dem impulsiven Typ zu tun hat
Viele Menschen denken bei „Borderline“ sofort an verletzliche, emotional instabile junge Frauen. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn die sogenannte Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) zeigt sich bei Männern häufig ganz anders – und wird daher oft übersehen oder falsch eingeordnet. Selbst innerhalb der offiziellen Diagnose „emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ“ gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede, die selten thematisiert werden.
In diesem Artikel klären wir auf:
🔹 Was Borderline überhaupt ist – und was es nicht ist
🔹 Wie sich die Erkrankung bei Männern und Frauen unterschiedlich äußert
🔹 Warum besonders der impulsive Typ oft fehldiagnostiziert wird
🔹 Wie Betroffene, Angehörige und Therapeut:innen besser damit umgehen können
🔹 Konkrete Fallbeispiele für ein besseres Verständnis
Was ist Borderline überhaupt?
Die Borderline-Persönlichkeitsstörung ist eine psychische Erkrankung, die zu den sogenannten emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen gehört. Menschen mit BPS erleben extreme Gefühlsschwankungen, haben oft ein sehr instabiles Selbstbild und Schwierigkeiten, ihre Emotionen zu regulieren. Beziehungen sind für sie oft ein ständiges Auf und Ab.
Typische Symptome:
- Intensive, wechselhafte Beziehungen
(von Idealisierung bis plötzlicher Abwertung) - Starke Impulsivität
(z. B. riskantes Verhalten, Drogen, Selbstverletzung) - Probleme mit der Emotionsregulation
(Gefühle schlagen oft schlagartig um) - Chronisches Gefühl von innerer Leere
- Ein instabiles Selbstbild
- Wutanfälle oder tiefe Verzweiflung
- Wiederkehrende Gedanken an Suizid oder Selbstverletzung
Diese Symptome entstehen meist durch eine Mischung aus genetischer Veranlagung, neurobiologischen Besonderheiten (z. B. eine erhöhte Reizempfindlichkeit im limbischen System) und frühkindlichen Beziehungstraumata – also emotional verletzende Erfahrungen mit wichtigen Bezugspersonen.
ICD-10 vs. DSM-5 – Was ist der Unterschied?
In Europa wird vor allem das ICD-10 verwendet. Hier unterscheidet man zwei Unterformen:
- Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ
- Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ
Das DSM-5 (v. a. in den USA gebräuchlich) spricht dagegen nur von „Borderline Personality Disorder (BPD)“ und fasst alle Symptome zusammen.
👉 In diesem Artikel bleiben wir beim ICD-10-Modell, weil es die Unterschiede klarer herausarbeitet – besonders, wenn es um den impulsiven Typ geht.

Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede?
Ja – und sie sind tiefgreifend. Nicht unbedingt in der Intensität des Leidens, aber in der Ausdrucksweise, in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und leider auch in der Wahrscheinlichkeit einer richtigen Diagnose.
1. Diagnosehäufigkeit
- Etwa 75 % aller BPS-Diagnosen betreffen Frauen.
- Männer zeigen jedoch ähnliche Symptome – sie werden aber oft anders interpretiert.
Warum?
Das gesellschaftliche Bild der „typischen Borderline-Betroffenen“ ist weiblich: emotional, anhänglich, weinerlich, selbstschädigend. Männer, die stattdessen mit Wut, Rückzug oder Gewalt reagieren, fallen durch das Raster – oder bekommen ganz andere Diagnosen wie ADHS, Narzissmus oder antisoziale Persönlichkeitsstörung.
Unterschiedliches Erleben: Männer und Frauen mit Borderline
Aspekt | Weiblich geprägte BPS | Männlich geprägte BPS |
---|---|---|
Beziehungsmuster | Klammernd, verlustängstlich, idealisierend | Rückzug, Bindungsangst, Abwertung, Misstrauen |
Emotionsausdruck | Innengerichtet: Weinen, Selbstverletzung | Außengerichtet: Wutausbrüche, Reizbarkeit |
Selbstverletzung | Sichtbar (z. B. Ritzen, Verbrennungen) | Versteckt (z. B. durch riskantes Verhalten oder Drogen) |
Suizidalität | Impulsive Versuche, Hilferufe | Eher geplant, oft mit höherer Letalität |
Substanzkonsum | Weniger ausgeprägt | Häufig zur Emotionskontrolle oder Betäubung |
Schuldgefühle/Empathie | Stärker spürbar, häufig Selbstvorwürfe | Oft verdrängt oder mit Wut maskiert |
Diagnoseweg | Psychotherapie, Klinikaufenthalte | Polizei, Justiz, Drogenberatung |

Was macht den impulsiven Typ so besonders?
Die impulsive Variante (nach ICD-10) zeigt sich oft durch:
- Geringe Impulskontrolle
- Häufige Wutausbrüche
- Unüberlegte Handlungen
- Aggressives Verhalten bei Frustration
- Kaum bis keine Beziehungsschwierigkeiten oder Identitätsstörungen
Es fehlt bei dieser Variante oft die tiefe, emotionale Instabilität und die Identitätsproblematik – im Vordergrund stehen Reizbarkeit, Aggression und impulsives Verhalten.
Typische Ausprägungen des impulsiven Typs:
Merkmale | Bei Frauen | Bei Männern |
---|---|---|
Wutverhalten | Gegen sich selbst (z. B. Selbstbestrafung) | Gegen andere (z. B. verbale oder körperliche Gewalt) |
Riskantes Verhalten | Sexuelle Risiken, Essstörungen | Drogen, Straßenverkehr, Gewalt |
Diagnose | Depression, BPS | Narzissmus, ADHS, antisoziale PS |
Zwei Fallbeispiele aus der Praxis
Lisa (29 Jahre)
Lisa wirkt sehr sensibel, leidet unter intensiven Beziehungen, verletzlichen Gefühlen und chronischer innerer Leere. Sie verletzt sich selbst, fühlt sich schnell verlassen und klammert sich an Partner. Durch Therapie lernt sie Schritt für Schritt, mit diesen Gefühlen umzugehen. Ihre Diagnose: Borderline-Typ.
Marco (34 Jahre)
Marco wird als „aggressiv und schwierig“ wahrgenommen. In Beziehungen flippt er regelmäßig aus, trinkt zu viel und gerät immer wieder in Konflikte mit dem Gesetz. Niemand denkt an eine Persönlichkeitsstörung – bis ein erfahrener Psychiater feststellt: emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ.
Warum das Wissen um Unterschiede so wichtig ist
👤 Für Betroffene:
Nur wenn du verstehst, warum du fühlst und handelst, wie du es tust, kannst du dich selbst besser annehmen – und gezielt Hilfe suchen. Männer schämen sich oft für ihre Wut, Frauen für ihre Bedürftigkeit. Beides ist ein Teil des Musters.
🧠 Für Therapeut:innen:
Die Diagnose sollte nicht nach Geschlecht vergeben werden, sondern nach Symptomen. Wer nur das klassische Bild im Kopf hat, übersieht viele Männer – und behandelt viele Frauen falsch.
💞 Für Angehörige:
Ob Eltern, Partner:innen oder Freunde: Nur wer die Unterschiede kennt, kann mitfühlend und unterstützend reagieren – statt nur zu bewerten.
Therapieansätze im Überblick
Therapieform | Eher bei Frauen | Eher bei Männern |
---|---|---|
Dialektisch-behaviorale Therapie | Fokus auf Selbstverletzung & Emotionsregulation | Fokus auf Impulskontrolle & Umgang mit Wut |
Mentalisierungsbasierte Therapie | Beziehungsdynamik verstehen | Emotionale Selbststeuerung verbessern |
Gruppentherapie | Oft positiv erlebt | Häufig mit Scham verbunden |
Medikamente | Stimmungsstabilisierer, evtl. Antidepressiva | Zusätzlich evtl. Antipsychotika oder Sedativa |
Fazit: Männer mit Borderline gibt es – aber sie werden zu selten erkannt
Borderline ist keine „Frauenkrankheit“. Auch Männer leiden – nur eben anders. Ihre Symptome passen oft nicht in das klassische Schema, weshalb sie durch Raster fallen oder andere Etiketten bekommen.
Umso wichtiger ist:
✅ Eine Diagnose, die nicht auf Geschlechterklischees basiert
✅ Eine Therapie, die individuell angepasst wird
✅ Ein gesellschaftlicher Umgang, der nicht verurteilt, sondern versteht
Denn nur wer hinsieht, kann wirklich helfen.
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Glossar: Wichtige Begriffe rund um Borderline und Persönlichkeitsstörungen
Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS):
Eine psychische Erkrankung, bei der Betroffene sehr starke Stimmungsschwankungen, Probleme mit Beziehungen, einem stabilen Selbstbild und der Kontrolle von Gefühlen haben. Sie gehört zu den emotional instabilen Persönlichkeitsstörungen.
Emotional instabile Persönlichkeitsstörung:
Oberbegriff im ICD-10 für Persönlichkeitsstörungen, bei denen die Gefühlswelt sehr schnell kippt und impulsives Verhalten eine große Rolle spielt. Es gibt zwei Hauptformen: den Borderline-Typ und den impulsiven Typ.
Impulsivität:
Handlungen werden spontan und ohne Nachdenken ausgeführt – oft mit negativen Folgen. Zum Beispiel plötzliche Wutausbrüche, riskantes Verhalten oder unüberlegte Entscheidungen.
Emotionsregulation:
Die Fähigkeit, eigene Gefühle wahrzunehmen, zu verstehen und so zu steuern, dass sie nicht überfluten oder das Verhalten unkontrolliert beeinflussen. Bei Borderline oft stark gestört.
Identitätsstörung:
Betroffene wissen oft nicht genau, wer sie sind, was sie wollen oder wofür sie stehen. Das Selbstbild kann je nach Situation oder Beziehung stark schwanken.
Chronische innere Leere:
Ein dauerhaftes Gefühl von Sinnlosigkeit, innerem „Nichts“ oder emotionaler Taubheit, das viele Betroffene stark belastet.
Selbstverletzendes Verhalten (SVV):
Handlungen wie Ritzen, Verbrennen oder Schlagen, die ohne Suizidabsicht ausgeführt werden, oft um starke innere Spannungen abzubauen.
Suizidalität:
Gedanken, Wünsche oder Handlungen, die sich mit dem eigenen Tod oder der Selbsttötung beschäftigen. Bei BPS häufig impulsiv, aber auch geplant.
DSM-5:
Das „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ ist ein Diagnosehandbuch aus den USA, das psychische Erkrankungen beschreibt. Dort wird Borderline unter einer Kategorie zusammengefasst.
ICD-10:
Das „Internationale Klassifikationssystem für Krankheiten“, das weltweit genutzt wird. In Europa Standard für Diagnosen. Hier gibt es zwei Formen der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung: Borderline-Typ und impulsiver Typ.
Impulsiver Typ:
Ein Subtyp der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung. Hier stehen Wut, Aggression und Impulsdurchbrüche im Vordergrund – nicht zwingend emotionale Instabilität oder Beziehungsprobleme.
Mentalisierungsbasierte Therapie:
Ein therapeutischer Ansatz, der Menschen hilft, eigene Gefühle und die Gefühle anderer besser zu verstehen – besonders hilfreich bei instabilen Beziehungen.
Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT):
Eine spezialisierte Form der Verhaltenstherapie, die gezielt bei Borderline eingesetzt wird. Sie hilft dabei, Gefühle zu regulieren, sich selbst zu akzeptieren und impulsive Reaktionen zu kontrollieren.
Substanzmissbrauch:
Der schädliche oder süchtige Konsum von Drogen, Alkohol oder Medikamenten, oft als (fehlgeschlagener) Versuch, Gefühle oder Probleme zu „betäuben“.
Fehldiagnose:
Wenn eine Person eine falsche psychische Diagnose erhält – z. B. weil ihre Symptome nicht dem typischen Bild der Erkrankung entsprechen.
Therapieansätze:
Unterschiedliche Formen psychologischer und psychiatrischer Behandlung, angepasst an die jeweilige Erkrankung und Persönlichkeit des Menschen.
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